Mittwoch, 28. Februar 2007

18 - Wilhelm Lachnit, Der Tod von Dresden, 1945


Wilhelm Lachnit, geb. 1899 Gittersee bei Dresden, gest. 1962 Dresden
Der Tod von Dresden, 1945, Leinwand, 200 X 114 cm, erworben 1957

(Abb. Katalog Wilhem Lachnit, 1965, Abb. S.18, erstes vorläufiges Werkverzeichnis mit wiss. Apparat von W.S.)

Im gleichen Jahr, in dem das alte Dresden in zweimaligem Angriff anglo-amerikanischer Bombengeschwader fast völlig zerstört wurde, schuf Wilhelm Lachnit das Bild "Der Tod von Dresden". Das Werk gehörte zu den meist beachteten, in seiner Idee und Gestaltung ergreifendsten Gemälden der ersten Ausstellung Dresdener Künstler nach dem Kriege.-

Neben manchem Mittelmäßigen waren in der Ausstellung auch Arbeiten solcher Künstler, die heute zu den namhaften unserer Republik gehören: Hegenbarth, Kretzschmar, Kröner, Rudolph, Wilhelm usw. Lachnits Bild schien für den geistigen Zustand dieser Situation geradezu charakteristisch.

Von schier untragbarem Schmerz zusammengezogen sitzt im Vordergrund eine Frau. Die Aufwärtsbewegung des großen sitzenden Körpers wird von dem tiefgebeugten Hals und Kopf, der die fallende Linie der rechten Schulter fortführt, zurückgenommen und von dem herabhängenden rechten Arm, der schützend am Rücken des Kindes entlanggleitet, wieder nach unten zu den Füßen geführt. Der linke Unterarm und die Hand stützen den Kopf. Hinter der Frau, die Bewegung wiederholend, der Tod. Das alles zwischen zersplissenen, querenden Balken. Brandrot ist das Holz, rot der Erdboden, rot der Hintergrund, schwarzrot der Himmel mit der verdunkelten Sonne. Rot glimmt in Reflexen über dem Kleid und Fleisch der Frau und kehrt wieder auf dem Skelett des Todes und dessen gelbem Umhang. Es ist ein schwer bestimmbares Rot, von Schwarz und Schwarzgrau hin und wieder unterbrochen, spielt es in mannigfachen Tonabstufungen von Rosa zu Purpur, nie rein und immer gebrochen, an verglühendes Feuer und geronnenes Blut gemahnend.

Rot ist für uns die Farbe des Lebens, der Liebe und der Revolution. Lachnits Rot hat nichts davon. Sein Rot ist die Farbe des Todes und der Vernichtung. In dem Bild ist aber noch ein Kind. Über den Schoß der Mutter gebeugt, blickt es auf uns. Schlaff hängen die Händchen an den ausgestreckten Armen herab, die vordere uns den Rücken zuwendend, die andere in rührend bittender Hilflosigkeit das Handinnere vorweisend. Diese Gebärde und der Blick der dunklen Augen sind stummer Vorwurf und eindringliche Frage. Sie machen es dem Betrachter unmöglich, bei der bloßen Anschauung zu bleiben. Sie fordern Antwort und Stellungnahme. Das Kind, die erschütterndste Gestalt des ganzen Gemäldes, wird die Ursache sein, daß die Mutter sich wieder erhebt, der Zukunft entgegen. Was für einer Zukunft, davon ist hier noch nicht die Rede; nur so viel ist gewiß: Die das Chaos verursacht haben, werden nicht dabeisein.

Aus: Dresdener Kunstblätter, 1965,2
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987

Dienstag, 27. Februar 2007

17 - Wilhelm Lachnit, Mädchen im Pelz,1925


Wilhelm Lachnit, geb. 1899 in Gittersee bei Dresden, gest. 1962 in Dresden
Mädchen im Pelz, 1925, Leinwand, 120 cm X 67 cm, erworben 1926

(Abb. Farbige Gemäldewiedergaben 1968, Nr.1, Mädchen im Pelz,

Als das Bildnis "Mädchen im Pelz" auf der großen internationalen Kunstausstellung 1926 in Dresden erstmalig gezeigt wurde, erwarb es sofort die damalige Sächsische Landesregierung für die Gemäldegalerie Neue Meister. Noch nie war es bisher geschehen, daß das Werk eines so jungen Künstlers für die weltberühmte Dresdener Galerie angekauft wurde. Der Zauber, der von diesem Frauenbild ausgeht, ließ jedoch alle Bedenken schwinden. Bis heute gehört das in seiner Komposition sehr einfache Gemälde zu den beachtetsten Werken der Dresdener Gemäldegalerie Neue Meister.
In dunkelbraunem Pelz steht vor einer ebenfalls dunklen Wand ein junges Mädchen. Gesicht, Hals und die linke Hand, die mit leicht gespreizten Fingern auf dem rechten Unterarm liegt, leuchten hell aus dem Bild. Die Stimmung, die von der schönen Gestalt ausgeht, ist von Melancholie und Wehmut durchwoben. Das ein wenig nach vorn gesenkte Antlitz spiegelt ernstes und trauriges Sinnen. Die Formen des Gesichtes sind nicht schön im Sinne ebenmäßiger klassisscher Harmonie. Die Augen stehen ein wenig zu weit auseinander und für den kleinen Mund ist die Nase zu kräftig. Die verhaltene Wehmut des Antlitzes jedoch und die Geste der Hand, die sich wie schützend vor den Körper legt und den Mantel zusammenzuraffen scheint, sind von einer solchen Tiefe der Empfindung, daß die künstlerische Gestaltung im besten Sinne des Wortes schön wird.

Aus: J.U., Wilhelm Lachnit, Farbige Gemäldewiedergaben, VEB E.A.Seemann Leipzig 1968
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987

16 - Hans Grundig, Den Opfern des Faschismus, 1947


Hans Grundig, geb. 1901 in Dresden, gest. 1958 in Dresden
Den Opfern des Faschismus, 1947,
Hartfaserplatte, 110 X 200 cm, erworben 1960

(Abb. Katalog Gemäldegalerie Neue Meister, 1977, 5. Auflage)

Als ich ihn das erste Mal in seinem Atelier besuchte, arbeitete er an dem großen Gemälde "Den Opfern des Faschismus", das heute zu den Schätzen der Dresdener Galerie gehört. Daß hier ein bedeutendes Kunstwerk entstand, war nicht schwer zu erkennen, und doch kam es wegen eines durchaus wichtigen Bildelementes zu Auseinandersetzungen zwischen uns. Hans Grundig hatte die beiden Toten auf Goldgrund gelegt, was ich damals als fragwürdigen Rückgriff auf eine vergangene Malerei bezeichnete. Sicher wäre mancher Künstler ob derartigen Hereinredens in Zorn geraten. Hans Grundig wurde nicht einmal ärgerlich. Es ginge um kein Abbild, sagte er, sondern um ein Sinnbild, und er könne wohl ermessen, was ein solches Sinnbild verlange. Die zwei toten Kämpfer stünden für alle vom Faschismus Ermordeten. Viele habe er sterben gesehen, und viele starben als Helden. Ihr Kampf und Tod seien Inhalt dieses Bildes. Es blieb beim Goldgrund.

Später wurde mir ein Brief bekannt, den Hans Grundig über das Bild an seine Frau schrieb: "Die toten Menschen sind lebensgroß, und einer zeigt an seiner Kleidung, daß er ein gefangener kämpfender Mensch war. So wunderbar und schön wollte ich es malen, als es mir nur möglich ist. So eindringlich wollte ich es malen, daß alle von der Gewalt des stillen Gesichtes, von der Haltung der armen gequälten Körper erschüttert sind. Ich habe intensiv gearbeitet, dieses Erleben herauszuheben aus der Sphäre des damals allzu Alltäglichen". "Ich wollte diese zertrümmerte wunderbare Menschlichkeit einhüllen in alle Kostbarkeit, die uns Menschen möglich ist."

"Schön und eindringlich" wollte Hans Grundig die "wunderbare Menschlichkeit" der Kämpfer gestalten, die für uns alle das Teuerste gaben. Die tiefen Farben, Rot, Goldbraun und Blau, geben dem Gemälde eine feierliche Harmonie. Das Bild ist wohl die bisher vollkommenste Gestaltung der Idee von der Unsterblichkeit der Opfer des großen humanistischen Kampfes deutscher Antifaschisten in unserer Malerei.

In: Neues Deutschland, 19.2.1976, Zum 75. Geburtstag von Hans Grundig
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987

Montag, 26. Februar 2007

15 - Otto Dix, Der Krieg, Triptychon, 1929/32


Otto Dix, geb. 1891 in Untermhaus bei Gera, gest. 1969 in Hemmenhofen
Der Krieg, Triptychon. Holz, Mitteltafel 204 X 204 cm, Seiten 204 X 102 cm, Predella 60 X 204 cm

(Abb. Otto Dix, Der Krieg, Mitteltafel, Katalog Gemäldegaerie Neue Meister 1977 Nr.70)

Es ist zehn Jahre her, daß ich mit Otto Dix in den Ausstellungsräumen der Gemäldegalerie Neue Meister die Farbgebung für den Rahmen seines 1919 - 1932 entstandenen Kriegstriptychons beriet. Der ursprünglich anthrazitfarbene Rahmen sollte einen anderen Ton erhalten, um die drei Tafeln und die Predella wirkungsvoller zu verbinden und zugleich mit den markantesten Tönen der vier Bilder besser zu korrespondieren. Das dunkle Rot, für das wir uns damals entschieden, ist bis heute unverändert geblieben.

Wir standen damals mit dem Künstler in Verhandlungen, um das Kriegstriptychon für die Galerie zu erwerben. Mir war bekannt geworden, daß Otto Dix sowohl aus den USA als auch aus der BRD ungewöhnlich hohe Angebote erhalten hatte. Mehrere große Museen bewarben sich um dieses Hauptwerk proletarisch-revolutionärer Kunst. Als ich ihn fragte, wie er sich zu derartigen Ankaufsvorschlägen verhalten würde, sagte er, daß für ihn die Frage entschieden sei. Das Bild gehöre nach Dresden, nicht nur, weil er es hier, ehe die Nazis ihn 1933 aus seinem Lehramt an der Kunsthochschule entließen, gemalt habe, sondern weil die Menschen in der DDR am besten verstünden, was mit diesem Bild gemeint sei. -

In der Tat hat er zumindest eine Seite menschlicher Existenz im 20.Jahrhundert wie kaum ein anderer enthüllt. - Der am 2. September 1891 als Sohn eines Formers geborene Künstler lernte als Kind die Not des Proletariats und, als er 1914 zum Heer einberufen wurde, das stets bedrohte Leben des einfachen Soldaten kennen. In ihm speicherte sich Zorn, und der Zorn verdrängte fast alle Liebe.

Der Grafiker Max Schwimmer sagte einmal von ihm:"Dix ist nicht bequem, er schmeichelt sich nicht ein, er macht es seinen Berachtern nicht leicht, er fordert heraus und schockiert. In vielen seiner Arbeiten spürt man das Grollen und Murren, den schonungslosen und verbissenen Angriff auf alles Verachtungswürdige und Gemeine, den lächerlichen Spießer, den Kapitalisten und Militaristen und auf alles Unmenschliche".

Unter den deutschen Malern des 20.Jahrhunderts ist Dix der aggressivste und zugleich, um die Formulierung zu wiederholen, der verbissenste. Die Verbissenheit trübte zeitweilig den Blick für die Realität, und so beinhaltet sein Lebenswerk auch Bilder, in denen sich der Angriffsgeist gegen die richtet, die selbst O pfer waren.

In: Neues Deutschland, Otto Dix zum 85. Geburtstag
Abb.in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987

14 - Otto Dix, Frau mit Kind, 1921


Otto Dix, geb. 1891 in Untermhaus bei Gera, gest. 1969 in Hemmenhofen
Frau mit Kind, 1921, Leinwand, 120 X 81 cm, erworben 1957

(Abb. Otto Dix, Frau mit Kind, Katalog Gemäldegalerie Neue eister 1977, Abb. Nr.69)

Otto Dix, der aus dem Krieg zurückgekehrt, an der Akademie offiziell Meisterschüler Max Feldbauers war, hatte hier jedoch tatsächlich nicht mehr viel zu lernen. In den Jahren von 1920 bis etwa 1922 "fand Dix den ihm gemäßen Ausdruck. In einer Epoche, in der die Zerschlagung der Form und die Gewinnung der reinen Farbe in den Mittelpunkt der malerischen Bemühungen rückte, strebte er nach dem stärksten Ausdruck der Wirklichkeit, um einem Inhalt den adäquaten Ausdruck zu verleihen" (Fritz Löffler). Es waren vor allem weltanschaulich fortschrittliche Studenten, die in Dix einen der kommenden Großen erkannten und sich willig seinem Einfluß aussetzten, denn Dix schickte sich an, die künstlerischen Mittel zu formulieren, mit denen er einmal der Bourgeoisie als auch dem ihr hörigen Kleinbürgertum den Schein der Vornehmheit und Biederkeit nahm und zum anderen das Elend und die Ausweglosigkeit im Dasein der Armen mit unüberbietbarer Schärfe aufzeigt.

Frau mit Kind.
Der künstlerische Ideengehalt wird bei Dix heftig und bestürzend vorgetragen. Rechts vor einem schwarzen Fenster und links neben einer Sockelwand der Pseudo-Renaissance deutscher Gründerzeit steht eine Frau mit ihrem Kind auf dem Arm. Schwindsucht, Hunger und das Milieu muffiger Wohnungslöcher haben sie und ihr Kind gezeichnet. Hier hat die künstlerische Gestaltung einen solchen Grad des Hervorkehrens und Überbetonens elenden Daseins erreicht, daß der künstlerische Protest in der Übertreibung des Verfalls kaum noch in seinem letzten Endes humanistischen Gehalt aufnehmbar wird. Dix`Kunst bewegt sich oft an der Grenze des gerade noch Ertragbaren, an der Grenze des ästhetisch Wirksamen: die schmutzige bröckelnde Hauswand, das blinde Fenster, die vom vielen Waschen ausgelaugte Bluse und die Leichenfarbe des Fleisches, die durch die roten Tuberkuloseflecken auf den Wangen noch fahler und wie im Zustand der Auflösung erscheint, und dazu in parodierendem Kontrast der Aufputz des Kindes im blauen Jäckchen und weißen Überkleid mit Strümpfchen und braunen Lederschuhchen.
( bei Lachnit ist alles viel zurückhaltender, sanfter.....)

Aus: Katalog Wilhelm Lachnit, 1966
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen 1987

Sonntag, 25. Februar 2007

13 - Otto Dix, Selbstbildnis,Sehnsucht, 1918


Otto Dix, geb. 1891 in Untermhaus bei Gera, gest. 1969 in Hemmenhofen
Selbstbildnis, Sehnsucht, 1918, Leinwand, 53,5 X 52 cm, Geschenk 1970

(Abb. Selbstbildnis Sehnsucht, 1918)

Die künstlerische Entwicklung von Otto Dix verlief in mehreren Etappen, unter denen als folgenreichste die Zeit herausragt, die er in Dresden nach dem ersten Weltkrieg bis zum Machtantritt des Faschismus verbrachte. In den Arbeiten dieser Jahre legte er seine Lebenserfahrungen als Kind der Arbeiterklasse - sein Vater war Former in einer Eisengießerei in Gera- und als Soldat des ersten Weltkrieges nieder. Das Selbstbildnis "Sehnsucht" gehört noch der Periode an, in der Dix mit künstlerischen Mitteln des Futurismus und Kubismus um eine Bewältigung des Kriegserlebnisses rang. Drei Jahre zuvor hatte er das "Selbstbildnis als Mars" geschaffen, in dem er das falsche Heldentum des Soldaten im imperialistischen Krieg gleichsam persifliert und die Zerstörung von Leben, materiellen und kulturellen Gütern zum Ausdruck zu bringen unternahm. Das Selbstbildnis "Sehnsucht" ist gegen Ende des Krieges entstanden. Das blaue Gesicht mit den nach oben gedrehten Augen, dem aufgerissenen Mund und den blutroten Lippen trägt unverkennbar die Züge des jungen Malers. Sonne und Mond, der Kopf eines Stieres und eine Rose, die bei näherem Betrachten aus verschlungenen Menschengliedern besteht, entwachsen diesem Kopf. Ein Stern strahlt einsam im Dunkeln des Alls. Das Gemälde ist eine erschütternde Darlegung der furchtbaren Erfahrungen und Erlebnisse, die Dix während des Krieges hatte. Es beinhaltet Klage und Anklage und zugleich die Sehnsucht nach Rettung aus dem Chaos und nach einem friedlichen und befriedeten Leben.

Die Stifterin erzählte mir, wie sie in den Besitz des Gemäldes gekommen war. Im Jahr 1919 war Dix nach Dresden zurückgekehrt, und da er Marianne Britze , die damals an der Kunstakademie studierte, kannte, besuchte er sie. Es ging ihm schlecht, und er bat die junge Künstlerin, ihm zu helfen.Marianne Britze war in der beneidenswerten Lage, über einige Mittel zu verfügen, und sie gab dem Künsler ein paar hundert Mark, damit er die erste Zeit, bis er sich wieder eingelebt hatte, überstehen könne. Zum Dank schenkte ihr Otto Dix sein Selbstbildnis. "Für mich war dieses Gemälde von da an ein unschätzbares Kunstwerk der Erinnerung an die schweren Jahre nach dem ersten Weltkrieg und an Otto Dix. Doch ich weiß, daß dieses Bild heute nicht mehr nur allein mir und den wenigen Gästen, die zu mir kommen, gehören darf. Es soll den unzähligen Besuchern der Dresdener Gemäldegalerie Neue Meister von der damaligen Zeit und dem Beginn der künstlerischen Laufbahn des Malers und Gaphikers Otto Dix Zeugnis ablegen.

In: Dresdener Kunstblätter 1972,1
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987

Samstag, 24. Februar 2007

12- Karl Schmidt-Rottluff, Nach dem Bade, 1912


Karl Schmidt-Rottluff, geb. 1884 in Rottluff, gest.1976 in Berlin.
Nach dem Bade, 1912, Leinwand, 87 X 95 cm, erworben 1978. Frauenkopf und Maske,1912, Leinwand, 84 X 76 cm, erworben 1975. Frau in den Dünen,1914, Leinwand, 87 X 100 cm, erworben 1981. Landschaft in Rottluff, 1921, Leinwand, 87,5 X 101 cm, erworben 1972. Stillleben mit Früchten, 1928, Leinwand,65 X 73 cm, erworben 1966.

(Abb. Katalog Gemäldegalerie Neue Meister, 1977, Abb.66)

Schmidt-Rottluff, der mehrfach zum Ausdruck brachte, daß Politik nicht seine Sache sei, der gesellschaftliche Auseinandersetzungen vermied und Sommer für Sommer an die Nord- und Ostseeküste reiste, um monatelang unbehelligt arbeiten zu können, sollte noch zu spüren bekommen, wie politisch seine Kunst genommen wurde. Wenige Monate, nachdem der Faschismus die Macht an sich gerissen hatte, mußte er seine Mitgliedschaft der ehemaligen preußischen Akademie der Künste niederlegen. In der 1937 veranstalteten Ausstellung "Entartete Kunst" hingen fünfzig seiner besten Gemälde, Aquarelle und Grafiken. Wenige Jahre danach wurde ihm jede berufliche und nebenberufliche Tätigkeit als bildender Künstler verboten und das Verbot polizeilich kontrolliert. Der Maler, der sich aus allem heraushalten wollte, fand sich wieder in den Reihen der politisch Gemaßregelten, in denen Künstler wie Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Hans Grundig, Alfred Frank u.a. standen. -

Die frühen Werke lassen erkennen, daß der junge Maler am Impressionismus anknüpft, doch ist die Pinselführung ungleich impulsiver und ungehemmter, als sie je ein Impressionist angewandt haben würde. Die mit breitem Pinsel angelegten Töne verflechten sich zu einem Farbenrausch, den die damalige Malerlei nicht kannte. Der Vortrag ist so rast- und zügellos, daß Mensch und Natur fast in ihm versinken. -

Erst in den zwei Akten des Bildes "Nach dem Bade" von 1912 und der "Frau in den Dünen" von 1914 tritt eine Beruhigung ein. Körper und Räume werden in großen Formen zusammengezogen. Unvermittelter als zuvor stehen Farbkontraste nebeneinander. - Ein Programm hatten die Künstler der "Brücke" - zu denen neben Schmidt-Rottluff, Ernst Kirchner, Erich Heckkel und Fritz Bleyl auch Emil Nolde und Max Pechstein gehörten - nie. Ihre Kunst war aus der Opposition gegen leer gewordene bürgerliche Kunstweisen erwachsen. Sie träumten utopische Träume und suchten, ähnlich wie die Romantiker des 19. Jahrhunderts, die Welt mit zurückgewendetem Kopf zu ändern. Daß Schmidt-Rottluff unter derartigen Bedingungen uns kostbarste Werke der Malerei schenkte, liegt an seiner grundsätzlich humanistischen Weltauffassung, in deren Dienst er seine hohe Gestaltungskraft stellt.

aus: Neues Deutschland, 1.12.1974, Schmidt-Rottluff zum 90. Geburtstag
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlugen, Dresden 1987.

Freitag, 23. Februar 2007

11 - Lovis Corinth, Walchensee, 1920


Lovis Corinth, geb. 1858 in Tapiau, gest. 1925 in Zandvoort
Walchensee, 1920, Leinwand, 80 X 110 cm

(Abb. Katalog Gemäldegalerie Neue Meister, 1977, Abb.57)

Mit Ehrungen, Auszeichnungen und hochbezahlten Aufträgen überhäufte das Geldbürgertum Corinth, doch zugleich zog es ihm damit Grenzen, die zu überschreiten er nicht vermochte. Daß er trotzdem ein Großer der Kunstgeschichte wurde, verdankte er seiner eminenten künstlerischen Kraft, der unzerstörbaren Liebe zur Natur und zum Menschen.

Corinth wird in der Regel von der Kunstgeschichte als deutscher Impressionist charakterisiert. In bezug auf die dynamische, Licht und Atmosphäre als wichtige Gestaltungsmittel heranziehende Malweise trifft das zu. Doch im Gegensatz zu den französischen Impressionisten, die sich bemühten, lediglich den momentanen Eindruck (Impression) eines Motivs bildausschnitthaft festzuhalten, und vorgaben, das Motiv selbst geringzuachten, blieb Corinth ganz eng am Darzustellenden. In seinen Porträts rang er um die geistige Ausdeutung der Modelle, und in den Naturdarstellungen arbeitete er stets Typisches heraus. Eine solche Kunstweise ist die Folge einer von Anfang an realistischen Konzeption. "Der eine Name Rembrandt leuchtet durch alle Finsternis", schrieb Corinth als alter Mann. Der große Holländer, der alles erreichte wonach Corinth strebte, war sein heimliches Vorbild. Aber beide trennten Jahrhunderte. In Rembrandts Epoche war das religiöse Thema noch tragfähig für die Zeit. Damals wurde mit der "Heimkehr des verlorenen Sohnes" ein gewaltiger ethischer Apell gestaltbar. Der "Verlorene Sohn" Corinths von 1891 ist nur noch jämmerlich. Ähnliches läßt sich von Themen aus der antiken Sage und Geschichte konstatieren. Und die Zeitgeschichte selbst? Eine "Nachtwache" der modernen Bourgeoisie ist schon, wenn man so etwas nur nennt, lächerlich, Corinth blieben die "Logenbrüder" von1898 mit ihrer Arroganz, Geheimniskrämerei und Genußsucht. Zur Geschichte des letzten deutschen Kaiserreiches hat er nicht einmal eine Skizze versucht, aber nach der Totenmaske des ermordeten Karl Liebknecht schuf er eine Zeichnung und zwei Lithographien. Diese Blätter gehören schon zu dem reichen Schatz der deutschen proletarisch-revolutionären Kunst.
Aus: Neues Deutschland, 17.7.1975, Zum 50. Todestag von Lovis Corinth
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen, 1987

Donnerstag, 22. Februar 2007

9 - 10, Oskar Zwintscher, Bildnis der Gattin des Künstlers (1902),O Wandern, O wandern, (1903)







Oskar Zwintscher, geb. 1870 in Leipzig, gest. 1916 in Dresden

(Gemäldegalerie Alte und Neue Meister, 1978, Nr. 165, Bildnis der Gattin des Künstlers,- Abb.Katalog der Ausstellung Oskar Zwintscher, 1982, Adele Zwintscher als Braut,1897)

Blick in den Mosaiksaal des Albertinums mit der Ausstellung "Oskar Zwintscher, 1870-1916, Hans Unger und Sascha Schneider, Dresdener Bildhauerkunst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Kunstgewerbe um 1900, Dresdener Medaillen und Plaketten von 1889-1914, Gemälde aus Dresdener Ausstellungen von 1895-1914".1982. (Die Ausstellung hatte 70 000 Besucher). Katalog zur Ausstellung mit der Abbildung "Adele Zwintscher als Braut", 1897

In der Saalachse das
Bildnis der Gattin des Künstlers, (1902), Leinwand, 200 X 100 cm, erworben 1904

Das lebensgroße Porträt, ein schmales Hochformat, ist konzeptionell ungewöhnlich, denn ein Mensch ist in dem Augenblick gemalt, in dem er uns verläßt. Die Frau steht auf der Türschwelle, hat die rechte Hand auf die Klinke gelegt, die Tür bereits ein wenig geöffnet;sie blickt noch einmal zurück, um im nächsten Augenblick den Raum zu verlassen. Ihr Gesicht lächelt nicht. Es ist alles klar und endgültig.

Das Porträt ist das Bild eines großen Abschieds, eines Abschieds, wie es ihn zwischen Zwintscher und seiner Frau niemals gab, wie er aber in der Literatur dieser Zeit auf Grund der um die Jahrhundertwende immer stärker werdenden Vereinzelung des Menschen zu einem Hauptthema wurde. So gesehen ist das Gemälde seinem Ideengehalt nach Ibsens Schauspiel "Nora" verwandt. Nur der geliebten Frau konnte Zwintscher letztlich die Rolle der großen Abschiednehmenden mit allen Konsequenzen übertragen, war sie für ihn doch Ziel und Halt seiner tiefsten Gedanken und Gefühle, Hoffnungen und Ängste.

Der Endgültigkeit des Abschieds entspricht der entschiedene, kühle Kontrast von Schwarz, Weiß und Gold, dem sich auch die Abstufung des Inkarnats vom dunklen schleierverhangenen Teint zur hellen rechten Hand auf der Klinke einfügt. Nur der schmale Streifen des Teppichs an der unteren Bildkante bringt warme rote Farbtöne ins Bild. Zusammen mit dem strengen Gesamtaufbau, in den die Figur fest eingebunden ist, führt die kühle Farbigkeit den Bildkonflikt zu einem Höhepunkt, der für die zeitgenössische Kunstkritik schon jenseits bürgerlicher Konvention lag. Im "Meißner Tageblatt" war denn auch am 11. November 1903 über das Bild zu lesen:"Nach den Bildnissen der Eltern und des Bruders ein so schrullenhaftes Portrait ... berührt die Grenze der Verzerrung ... vom Pikanten nur ein Schritt zur Karrikatur." Die Direktion der Dresdener Galerie war anderer Meinung. Sie erwarb das Bildnis vom Künstler im selben Jahre, 1903.

Aus:J.U. Oskar Zwintscher, VEB E.A.Seemann Verlag, Leipzig 1984
Abb. in : Dresdener Galerie, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen, 1984



O Wandern, O Wandern, Leinwand, (1903) 100 X 120 cm, erworben 1916


Der emphatische Titel des Bildes ist bezeichnend für die Stimmung der Zeit, in der wie Richard Hamann schrieb, "sich eine Fahrtenromantik entwickelte, die in einem scharfen Gegenstz zu der großstädtischen Genußsucht des Impressionismus stand." Im Gegensatz zum Impressionismus steht auch die von Zwintscher gemalte Landschaft. "Genußsüchtig" ist sie deshalb jedoch nicht minder, nur ist es das Streben nach dem Genuß der sogenannten "freien Natur", in die man hinauswanderte, um der Stadt zu entkommen, in der man in Zelten schlief und am Lagerfeuer zur Laute sang. Im Heidedorf Worpswede bei Bremen hatte sich einige Jahre zuvor ein Kreis von Malern zusammengefunden, um der Zivilisation nicht zu nahe zu sein. Zwintscher hatte diese Künstlerkolonie 1902, ein Jahr bevor er unser Bild malte, auf Einladung Rilkes kennengelernt.

Die von der Höhe gesehene Elblandschaft zieht den Blick in die Tiefe: Wie bei Bildern Caspar David Friedrichs, die Zwintscher aus der Dresdener Gemäldegalerie gut kannte, gibt es keinen Übergang vom Vorder- zum Hintergrund. Überhaupt schwingt ein romantischer Grundton durch das Ganze, doch die Gründlichkeit, die akribische Feinmalerei, mit der bis in weiteste Ferne jeder Kleinigkeit an beiden Ufern des Elbstromes nachgegangen ist, und der tiefblaue Himmel mit den schweren Wolken über dem fast atmosphärelosen Raum sind Zwintschers Findung. In der gleichzeitigen Dresdener Landschaftsmalerei hatte das Bild seinesgleichen nicht. Noch in den zwanziger Jahren machte es, wie der Maler Rudolf Bergander einmal bestätigte, tiefen Eindruck auf die jungen Künstler, die damals der Neuen Sachlichkeit anhingen.
Aus: Joachim Uhlitzsch, Oskar Zwintscher,VEB E.A.Seemann Verlag Leipzig,1984 Farbtafel
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987

Mittwoch, 21. Februar 2007

8 - Hans Thoma, Sommer im Schwarzwald, 1873


Hans Thoma, geb. 1839 in Bernau, gest. 1924 in Karlsruhe
Sommer im Schwarzwald, Leinwand, 85,5 X 60 cm, erworben 1971

(Abb. Hans Thoma, Selbstbildnis 1880, Katalog Gemäldegalerie Neue Meister 1977, Nr.28)

Die bereits ganz früh erwachte Lust, die Umwelt im Bilde zu bannen und zu deuten, galangt bei Thoma immer dann zu künstlerischen Ergebnissen, zu Meisterwerken, wenn sie dem Volke ( für den Bauernsohn Thoma war es das einfache bäuerlich Volk) lebendig und mit Verantwortung verbunden ist.

Thoma sollte bald zu spüren bekommen, wie wenig volksverbundene Kunst im damaligen Deutschland geachtet war. Nach dem Studium an den Akademien in Karlsruhe und Düsseldorf unternahm er 1868 eine Reise nach Paris. Hier lernte er die Werke des großen Realisten Gustave Courbet kennen. Es waren die Unmittelbarkeit, mit der der Franzose Natureindrücke wiedergab, und die neuartige malerische Schönheit, mit der in Courbets Bildern alles, auch Anspruchsloses und nach damaliger Ansicht Häßliches gestaltet und vertieft war, die Thoma zu dem Ausspruch hinrissen: "Es war, als hätte ich das selbst gemacht!" Ebensowenig wie bei Courbets Landschaften waren die seinen "komponierte" Natur. Sie waren spontan erfaßte und spontan gestaltete Naturausschnitte.

Derartige Arbeiten stellte Thoma im Badischen Kunstverein aus. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Das akademische Publikum und die Presse kritisierten den jungen Meister heftig und unnachgiebig. In seinem Tagebuch notierte er:" Die Philister sind empört über meine Bilder. Kaum hätte ich geglaubt, daß man sie mit Bildern noch in solche Wut bringen könnte." Er hätte es wissen können, denn Courbet war es in Frankreich einige Jahre vorher viel schlimmer ergangen. Nach der Ausstellung verließ Hans Thoma Karlsruhe und zog nach München. Dort traf er Künstler, die gleiches wie er erstrebten. Wilhelm Leibl und dessen Freundeskreis schloß er sich an. Die jungen Maler hatten die überlebten akademischen Regeln durchbrochen, vermieden die vorgeschriebene Brauntönung der landschaftlichen Gründe, die vom Klassizismus abgeleiteten Kompositionsregeln und dieauf äußerliche Schönheit und "seelenvolle" Blicke hergerichteten Typen. Man male den Menschen wie er ist, dann ist die Seele ohnehin dabei, war ihr künstlerisches Bekenntnis. In den Münchener Jahren entstanden Gemälde, die zu Thomas besten Werken zu zählen sind. Das Bild "Sommer im Schwarzwald", das die Dresdener Gemäldegalerie Neue Meiser vor drei Jahren erwarb, gehört hierzu.

Erst 1890 hatte Hans Thoma bei einer in München für ihn eingerichteten Ausstellung den erwarteten großen Erfolg.

Aus: Neues Deutschland, 7.11. 1974. Hans Thoma zum 50. Todestag.
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987, Bestandskatalog.

Dienstag, 20. Februar 2007

7 - Beginn der Chronologie. Caspar David Friedrich, Hünengrab im Schnee, 1807


Caspar David Friedrich, geb. 1774 Greifswald - 1840 Dresden
Hünengrab im Schnee. 1807, Leinwand, 61 X 80 cm, erworben 1905

(Abb. Katalog Gemäldegalerie Neue Meister 1977, Nr. 8)

Während damals den meisten Künstlern eine Reise nach Italien Erfüllung des heißesten Wunsches bedeutete, zog es Friedrich nie zu den Stätten antiker Größe und zu den Herrlichkeiten der Renaissance....Ihn hielt es in Deutschland, dessen leidvolle Geschichte sein Leben und seine Kunst bestimmte. Wohl ist er Zeitgenosse der großen bürgerlichen Revolution in Frankreich, aber ihm erschienen die Soldaten des Landes der Revolution nicht als Befreier von feudaler Unterdrückung und geistiger Enge, sondern als Vollstrecker napoleonischen Machtstrebens. Er und seine Freunde, zu denen in Dresden die Maler Gerhard von Kügelgen und Georg Friedrich Kersting, die Dichter Theodor Körner und vorübergehend Heinrich von Kleist gehörten, waren glühende Patrioten. -

Über Friedrichs Einstellung zur französischen Revolution ist nur Unzureichendes bekannt, doch daß er der napoleonischen Unterdrückung und der folgenden deutschen Restauration feindlich war, ist offenbar. Goethes gewaltiges Denk- und Lebensziel, "auf freiem Grund mit freiem Volke stehn", war dem später geborenen und seinem ganzen Bildungsweg nach auf anderem Wissensniveau stehenden Friedrich verschlossen. Und so erwuchs, gefördert von erschütternden persönlichen Erlebnissen (als Knabe war er Zeuge, wie einer seiner Brüder, den er zum Schlittschuhlaufen ermuntert hatte, vor seinen Augen ertrank), ein Unbehagen an den gesellschaftlichen Verhältnissen, das ihn zu Einsamkeit und Menschenscheu leitete. -

Friedrich wandte sich der Natur zu, und er führte die Landschaftsmalerei zu einer Höhe, die in der deutschen Kunst bis dahin ohne Vergleich ist. Er spürte allen Stimmungen und Bewegungen der Natur nach, studierte von tiefer Liebe zu Meer und Strand, deren sich im Licht des Tages und der Nacht wandelndes Bild, zeichnete und malte ferne, zarte Silhouetten der Städte und immer wieder den unerschöpflichen Wandel des weiten Himmels. 1820 konnte man im Tübinger "Kunstblatt" lesen: "Friedrich gerät von Jahr zu Jahr tiefer in den dicken Nebel der Mystik; nichts ist ihm neblicht und wunderlich genug; er grübelt und ringt danach, das Gemüth durchaus auf das Höchste zu spannen." Auch unserem Verstande und Gemüt verlangt Friedrichs Kunst Höchstes ab, doch ist unser Kunstsinn bereit, dem zu folgen, denn seine aus unerfüllbarer Liebe zur Freiheit erwachsene Schwermut ist zu ergreifender Kunstschönheit geformt. Am 7. Mai 1840 stirbt Caspar David Friedrich. Von ihm hatte der französische Bildhauer David d`Angers gesagt, daß er die Tragödie der Landschaft entdeckt habe. In der Tat hatte er einen Akt der Tragödie seines Volkes im Bilde der Natur transparent gemacht.

Fast ein Programmbild Caspar David Friedrichs ist das 1807 entstandene Gemälde "Hünengrab im Schnee". Es ist der späte Nachmittag eines mäßig klaren Wintertages.Hoch am Himmel sehenwir den rötlichen Schimmer der untergehenden Sonne. Die Höhenzüge des Hintergrundes verschwimmen in dem Blau des aufkommenden Abends. Bizarr ragen wenige Äste der drei alten Eichen in den Bildraum und bilden ein tranparentes Ornament vor dem valeurreichen Himmelsgewölbe. Zwischen den alten Bäumen liegt ein Hünengrab, gleich einemMahnmal zeitloser Dauer. Im Gegensatz zu diesem von Menschenhand errichteten Grabmal künden die alten Eichen von Vergänglichkeit all dessen, was die Natur hervorbringt. Die drei Bäume sind, da Friedrich sie so beherrschend in die Fläche stellt, wohl noch ein Bild der Schönheit und Macht der Natur. Ihre Schönheit haben sie auch im Alter behalten, doch das Bild der Macht beginnt zu verblassen vor dem Bild des nahenden Todes. Es herrscht vollkommene Stille. Auch der im Gleitflug unten rechts heranschwebende große schwarze Vogel verändert diesen Eindruck nicht. Er verstärkt das Schweigen.

Aus: Neues Deutschland,5.9.1974, zum 200. Geburtstag von Caspar David Friedrich.
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987

Montag, 19. Februar 2007

4 - 6 . Wolfgang Mattheuer. Werner Tübke,







Wolfgang Mattheuer, geb.1927 Reichenbach im Vogtland, gest.2004 in Leipzig.
Die Flucht des Sisyphus, 1972, Hartfaserplatte, 96 X 118 cm,

(Abb. Katalog Wolfgang Mattheuer 1975,Nr. 30 - 1. Die Flucht des Sisyphos, 1972, - 2. Sisyphos behaut den Stein, 1974, Gemäldegalerie Alte und Neue Meister, Abb.Nr.194 - 3. Werner Tübke, Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972, Katalog Gemäldegalerie Neue Meister 1977, Abb.98. -4. Katalog Werner Tübke 1976, Gruppenbild, 1972, - 5. Katalog Wolfgang Mattheuer 1975, Das vogtländische Liebespaar, 1972,Umschlag)



(W.S.): "1974 veranstaltete die Gemäldegalerie Neue Meister zum 200. Geburtstag von Caspar David Friedrich eine umfangreiche Personalausstellung, die auch im Ausland gezeigt wurde. Es war ein glücklicher Gedanke - der überbordende Besucherandrang zu den Kunstgesprächen bewies es - dieser Ausstellung eine kleinere Schau von Werken Wolfgang Mattheuers anzuschließen. - Seine und Werner Tübkes Werke blieben auch nach 1989 und nach verschiedenen, grundsätzlich geänderten Hängekonzeptionen Höhepunkte der Gemäldegalerie Neue Meister."

Die Flucht des Sisyphos.- Darin liegt das Ungewöhnliche des Realismus Wolfgang Mattheuers. Unsichtbares dringt in einige seiner Werke als ein in der Wirklichkeit nie erschaubares, weil tatsächlich nicht vorhandenes Gebilde ein, das lediglich in den Köpfen mancher Menschen als Realität exisiert. Mattheuer formt es zu einer unerwarteten und letzten Endes stets peinvollen, weil entlarvenden künstlerischen (und auch künstlichen) Gestalt. So etwas kann vorübergehend zu unterschiedlichen Deutungen und zu geistiger Unruhe führen. In dem Maße jedoch, wie der aufmerksame, nachdenkende Betrachter hinter die Dinge kommt und sich ihm das scheinbare Rätsel löst ( was beim kunstsinnigen Menschen mit tiefem Vergnügen verbunden ist), schwindet die Unruhe vor der durch das Bild erfahrenen Ekenntnis. Gewiß ist in der bildenden Kunst nur wichtig, was man sieht, aber zwischen Sehen und Begreifen liegt ein mehr oder weniger langer Prozeß, den zu vollführen man bereit sein sollte.-

Zu den kompliziertesten, den Betrachter fordernden Werken gehört die "Flucht des Sisyphos". In den Sagen des klassischen Altertums ist nachzulesen "Sisyphos, der Sohn des Aiolos, der listigste aller Sterblichen, baute und beherrschte die herrliche Stadt Korinth auf der schmalen Erdzunge zwischen zwei Meeren und zwei Ländern. Für allerlei Frevel und Übermut gegen die Götter traf ihn in der Unterwelt die Strafe, daß er einen schweren Marmorstein, mit Händen und Füßen angestemmt, von der Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber schon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, so wandte sich die Last um, und der tückische Stein rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der gepeinigte Verbrecher das Felsstück wieder von neuem und immer von neuem emporwälzen, daß der Angstschweiß von seinen Gliedern floß."
Sisyphos trifft das schwerste Los, das einem Menschen beschieden sein kann. Er muß eine Arbeit leisten, die ohne jeden Sinn und Zweck ist. Er ist der Unglücklichste von allen, denn nach seinem Tun fragt niemand, weil sein Tun niemand braucht. Es gibt andere Könige und schuldhaft gewordene Helden in den Sagen der Antike, die in der Unterwelt schreckliche Qualen auszustehen haben, aber keiner wurde dazu verurteilt, ganz und gar Nutzloses ausführen zu müssen. Nur eine in der Sage allerdings unerlaubte Tat kann Sisyphos von dieser verruchten Strafe befreien. In dem Bild ist das die heillose Flucht vor dem sinnlosen Tun. (irre ich nicht, so ist das Land im Tal den mit Dörfern und neuen hohen Häusern bebauten vogtländischen Landschaften Mattheuers, der Heimat des Künstlers nahe verwandt).
Hinter dem flüchtenden Sisyphos und dem nachrollenden Stein steht eine groteske, unangenehme Figur. Ein Mann, den Körper weggewandt, blickt dem Fliehenden nach. Doch der Mann verdeckt sein Gesicht mit einer Schafsmaske. Er will unter allen Umständen unerkannt bleiben, will nichts gesehen haben, wenn er gefragt werden sollte. Er will sich darauf herausreden können, ein Schaf zu sein. - Da ist wieder der Gleichgültige, Feige, der durch und durch wegen seiner Passivität und Verlogenheit Gefährliche.

Aus: Ausstellungskatalog Gemäldegalerie Neue Meister Dresden, Wolfgang Mattheuer,1974
Abb.: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987


Das vogtländische Liebespaar, 1972, Hartfaser, 105 X 129 cm. erworben 1975

"Kann der Künstler von der immer veränderten Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkt brauchen, so ist gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt nicht fruchtbar genug gewählt werden kann. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir
zu sehen glauben." Diese Feststellung Lessings ist von grundsätzlicher Bedeutung, und wenn wir an die VII. Kunstausstellung der DDR zurückdenken, dann erinnern wir uns, daß gerade solche Bilder, bei denen wir am meisten hinzudenken konnten und daher am meisten zu sehen glaubten, die umfassendsten und heftigsten Diskussionen auslösten. Wolfgang Mattheuers "Schwebendes Liebespaar" hatte mehr als 100 Leser der Sächsischen Zeitung zu schriftlichen Stellungnahmen veranlaßt. Bei ihm wurde Hinzudenken in höchstem Maße provoziert, aber die Gleichsetzung des eigenen Lebens mit dem hoch in die Lüfte gehobenen, über eine weite Strandlandschaft dahinschwebenden Paar war auf Grund des absonderlichen Ortes, an dem sich die beiden umarmten, nur wenigen Besuchern möglich. Das Gelöstsein von der Erde empfanden viele als Losgelöstsein von der Gesellschaft. -

Die Gemäldegalerie Neue Meister hat die jüngste Arbeit Wolfgang Mattheuers erworben, die er während der VII. Kunstausstellung der DDR in seinem Leipziger Atelier schuf. Das "Vogtländische Liebespaar" ist eine neue Variante des weiten Themas der Liebe. -
Weit erstreckt sich die vogtländische Landschaft mit ihren sanften Höhenzügen, den l ieblichen Tälern und der das Land duchziehenden Autobahn. Ein goldstrahlender Abendhimmel mit einer hellen Sonne überdacht die Natur, in der allein und sich selbst überlassen zwei junge Menschen stehen. Sie umarmen sich, und der Mann zieht seinen Mantel um die Frau. In der Kunst vergangener Zeiten war das eine Gebärde des Schutzes. Doch wovor sollte der junge Mann heute seine Geliebte schützen? Niemand wird ihr etwas antun. In unserm Bild ist die Geste zum Ausdruck der Liebe geworden. Die schöne Harmonie, die zwei Menschen verbindet und sie in die Natur einbezieht, wird zeitgemäß durch die ebenfalls harmonisch in die Landschaft eingebundenen Dörfer und arbeitenden Betriebe mit den rauchenden Schloten. Viel können wir hier im Sinne Lessings dazudenken, und je mehr wir das tun, um so mehr werden wir sehen.

Aus: Sächsische Zeitung, 25.5.1973
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987





Werner Tübke, geb.1929 in Schönbeck, gest. 2004 in Leipzig

Gruppenbild, 1971/2, Tempera/Spanplatte, 147,5 X 147,5 cm, erworben 1972
Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972, Holz, 80 X 170 cm, erworben 1974
(Eduard Beaucamp, FAZ 24.7.1999:Im westlichen Kunstbetrieb erregt Tübke, der changierende Indiualist, Ratlosigkeit und Unbehagen. Der Aristokrat und Sozialist, der Realist und Manierist ...durchkreuzt alle Rollenvorstellungen... Der Mauerfall von 1989 wurde auch als Sieg westlicher Ästhetik gefeiert. In Ost wie in West verschwanden Tübkes schönste Bilder in den Museumsdepots. Doch das Publikum denkt anders als seine Präzeptoren und setzt sich über die herrschende Kuratorenästhetik hinweg: Jahr für Jahr pilgern über hunderttausend Kunstfreunde zum herrlichen Bauernkriegspanorama ins entlegene Bad Frankenhausen in Thüringen...Man tut die abgekapselte, ummauerte DDR-Kunst gern als giftige Provinz ab. Doch die Verinselung und repressive Enge ließ die Bildphantasien, die bei westlichen Zeitgenossen, denen die Welt offenstand, eintrocknete, förmlich explodieren).
´

Joachim Uhlitzsch:
Der Künstler kann sich freuen, daß seinem Bild (Gruppenild) ein optimistishes Verhältnis zur Zukunft attestiert wird. Auch ich freue mich, denn das Gemälde wird nach der VII. Kunstausstellung in Dresden bleiben und noch lange Anlaß zu ernsten und meinetwegen auch heftigen Diskussionen geben.

Warum erinnert das Bild an Darstellungen aus der Renaissance? Ganz einfach, weil Tübke sich auf die Renaissance orientiert. Er tut das, weil er doch offenbar der Meinung ist, daß diese kunsthistorische Epoche für uns auswertbar ist. Das Sonderbare daran ist nur, daß Tübke die Auswertbarkeit der Renaissance nicht in dem Sinne versteht, daß sie in ihrem kühnen revolutionären Erkenntnis- und Tatendrang für uns von höchster aktueller Bedeutung ist, sondern daß er der Kunst der Renaissance darüber hinaus unmittelbare Brauchbarkeit für die bildende Kunst unserer Tage zuerkennt. Demnach sind die Gestaltungsmittel der Renaissancekunst, ihre Kompositionsgerüste, ihre Formen und Farben für die Kunst des sozialistischen Realismus anwendbar. -

In einem Brief vom Dezember des vergangenen Jahres schrieb Werner Tübke an mich zu dem Bild:"Das Gruppenbild ist rechtschaffen gemalt und steht - auch moralisch - für sich. Ich kann dieses Bild verantworten." Dem ist beizustimmen. Tübke wertete die Mittel der Kunst einer Epoche aus, die Friedrich Engels "die größte progressive Umwälzung" nannte, "die die Menschheit bis dahin erlebt hatte, eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte." - So weit, so gut. Wir können uns zufriedengeben, alles ist aufs beste bestellt. Aber da ist noch die Feststellung, wonach dem Bild ein optimistisches Verhältnis zum Zukünftigen bescheinigt wird. Und da trennen sich unsere Wege. -

Wir wissen, daß die Renaissancekunst von sakral bestimmter, unberührbar byzantinischer Ferne (etwa Gotik) zu atmender menschlicher Nähe führte, doch damit zugleich und unbedingt Hoheit und Würde, Erhabenheit und Überlegenheit der Einzelpersönlichkeit prägte. In der Periode der frühbürgerlichen Revolution war das eine Errungenschaft von höchstem gesellschaftlichen Wert. Doch wir sind weiter. An die Stelle der erhabenen Einzelpersönlichkeit ist das aus Einzelpersönlichkeiten bestehende schöpferische Kollektiv getreten, und dieser produktivste Kern unserer Gesellschaft ist mit den Mitteln der Renaissance nicht mehr gestaltbar. (Tübke weiß das auch und bezieht aus diesem Grunde heftige Bewegungen, frappierende Verkürzungen unter anderem des auf die Renaissance folgenden Manierismus in die Gestaltung ein, um Handlungen und Verbindungen zu schaffen.) Aus all dem zuletzt Gesagten komme ich zu folgender Einschätzung: Tübkes Gruppenbild ist ein hoch zu wertendes Beispiel, das Bild des sozialistischen Menschen mit den Mitteln einer vergangenen großen humanistischen Kunst zu verkörpern. Das Bild enthält alle nur vorstellbaren Möglichkeiten der unmittelbaren Ausnutzung dieser Mittel. Haushoch steht es über den Versuchen in der VII. Kunstausstellung, Formen der Neuen Sachlichkeit für die Darstellung unserer Menschen zu verwenden. Doch gerade weil das Bild mit tiefem Ernst, Verantwortung und eminentem Können gemalt ist, zeigt es bei aller Berechtigung seiner Existenz die Grenzen derartigen Unterfangens.

Aus: Ein Beitrag zu unserer Diskussionsfolge, Union, 18.1.1973
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen 1987

...Nun kann für einen Künstler die Brigadeberatung eine erregende, stürmische, ja ungestüme Diskussion sein, wie sie der hallische Maler Willi Neubert einmal darstellte und dabei bezeichnenderweise die ausfahrenden dynamischen Formen des Italieners Renato Guttuso verarbeitete. Es kann aber eine solche Beratung ebensogut im Moment des Verharrens und gedankentiefen Schweigens gestaltet sein. So etwas gerät dann leicht ins Feierliche. Die heftige Erregung des tönenden Disputes ist das eine, die spannungsvolle Stille geistiger Konzentration das andere. Zur Meisterung des zweiten ist die Durchforschung renaissancehafter Erhabenheit durchaus nicht unangebracht.

Heinrich Wölflin schrieb 1905 im Zusammenhang mit Dürers großen Gemälden, die in entscheidender Weise von der italienischen Kunst beeinflußt sind, daß das Feierlichste, was damals in Italien an Bildern gemalt wurde, ausgezeichnet war durch "das ruhige Beisammensein von Figuren in schön beschlossenem Raum. Still breiten sich die Flächen, still gleiten die Linien. Jeder Schatten ist weich eingebettet, und das Licht wirkt mild und ruhig.Und dazu die satte Farbe mit ihrem sanften Glühen".Die schönen Sätze könnten Tübkes Bild zugedacht sein. Ähnliches läßt sich auch von dem "Chilenischen Requiem", ...ja selbst dem "Bildnis des sizilianischen Großgrundbesitzers mit Marionetten" konstatieren.

Aus: Ausstellungskatalog Werner Tübke, Dresden 1976


Hermann Raum in: Sonntag, 14.3.1976
(Zur Personalausstellung der Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden und Leipzig)
Bereits nach 24 Öffnungstagen hatte die Tübke-Ausstellung im Dresdener Albertinum die Grenze von sechzigtausend Betrachtern überschritten. Auch in unserem mit Besucherzahlen verwöhnten Kunstleben ist dies ein bemerkenswertes und keineswegs nur quantitativ zu wertendes Zeichen. Das Werk des 47jährigen Malers, Rektor der Leipziger Kunsthochschule ist in hohem Maße und bestem Sinne des Wortes umstritten.

Freitag, 16. Februar 2007

3. Wilhelm Rudolph, Bildnis Heinz Bongartz, 1960


Wilhelm Rudolph, Bildnis Heinz Bongartz,1960, erworben 1961, Leinwand, 115 X95,5 cm

(Abb. Farbige Gemäldewiedergaben, E.A.Seemann, 1968, Joachim Uhlitzsch, Abb. Nr.6)


In Rudolphs Bildnissen gibt es keine Verfremdungen, die durch frappierende Wirkung den Betrachter packen wollen.Er geht von den natürlichen Gegebenheiten aus, ordnet sie, dämpft und steigert im Sinne des von ihm beabsichtigten Inhalts.Wohl unterwirft er sich die
gegenständliche Erscheinung der Wirklichkeit, aber nie so weit, daß er ihr Gewalt antut, sie deformiert und in ihrer organischen, naturentsprechenden Harmonie antastet. Seinen Menschen und Tieren, Landschaften und Stadtansichten eignet eine überaus komprimierte natürliche Sinnlichkeit.--

Rudolphs Meisterschaft der Porträtkunst hat außer umfassender Menschenkenntnis die Bereitschaft des Künstlers zur Voraussetzung, bescheiden hinter dem Modell zurückzutreten. Es ist, als ließe uns Rudolph mit dem Dargestellten allein. Alle künstlerischen Mittel sind so ausschließlich in den Dienst des Sichtbarmachens der physischen und seelischen Gegebenheiten des Modells gestellt, daß kein Raum mehr bleibt, sich selbst durch auffallende, laute oder gar verblüffende Übersteigerungen der Zeichnung oder der Farbe kund zu tun. Wenn Rudolph den Kopf eines Menschen in abgewogenem Wechsel von Hell und Dunkel rundet, Licht auf Haar, Stirn und Nasenrücken setzt, es gedämpfter auf Jochbein, Lippen und Kinn wiederkehren läßt, dann nur, um das Gesicht in gesteigerter Natürlichkeit neu entstehen zu lassen. So kommt es, daß Rudolphs Porträts unverwechselbar und einmalig sind wie jeder Mensch selbst. Und doch gehen sie in ihrer geläuterten und geklärten "Ähnlichkeit" weit über das Naturvorbild hinaus, da sie, wie Friedrich Hegel es forderte, "den geistigen Sinn und Charakter vor uns hinstellen. Gelingt dies vollkommen" meint Hegel weiter, "So kann man sagen, solch ein Porträt sei gleichsam getroffener, dem Individuum ähnlicher als das wirkliche Individuum selbst."--

Das Bildnis des Generalmusikdirektors Heinz Bongartz von 1960 gehört diesem neuen malerischen Stil an. Obwohl der Dargestellte sitzt, ist der perspektivissche Blickpunkt so tief genommen, daß der Betrachter die Gestalt leicht von unten sieht und den Eindruck hat, als säße Bongartz auf einem erhöhten Platz. Dieses einfache kompositorische Mittel, eine menschliche Gestalt imposant erscheinen zu lassen, schließt leicht die Gefahr ein, daß der Dargestellte überhöht und entrückt wird und der Betrachter in ein Verhältnis der Unterordnung gerät. Eine derartige Übersteigerung widerspräche jedoch der Auffassung vom Menschen, wie sie die Kunst Rudolphs auszeichnet. Daher dämpft er sie, nimmt sie beinahe wieder ganz zurück, indem er Bongartz ganz unoffiziell und ohne jeden äußeren Aufwand ins Bild bringt. Körperlich völlig entspannt, den Blick leicht nach rechts gewandt, sitzt der Dirigent vor uns, als sei er bereit zu einem privaten Gespräch. Auch daß er keine Jacke trägt, daß er die eine Hand lässig herabhängen, die andere locker auf den Oberschenkel ruhen läßt und ganz unförmlich die Beine auseinanderstellt, nimmt dem Bild jede Repräsentation äußerer Erscheinung. Die Würde des Porträts liegt in der künstlerischen Ausdeutung des Dargestellten. So verbinden sich in der Gestalt des Musikers Wert und Bedeutung der Persönlichkeit für die Gesellschaft mit der zutiefst demokratischen Gleichberchtigung des Betrachters mit dem Künstler.

Aus:Farbige Gemäldewiedergaben, Wilhelm Rudolph, VEB E.A.Seemann Verlag, Leipzig 1968.
Abb. in Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987

2.-Wilhelm Rudolph, Wiederhergestellte Elbbrücke, 1953



Wilhelm Rudolph, Wiederhergestellte Elbbrücke. 1953, Leinwand, 95,5 X 130,5 cm. erworben 1959

(Abb. Farbige Gemäldewiedergaben, E.A.Seemann, 1968, Joachim Uhlitzsch, Abb. Nr.5)

In Rudolphs Naturschilderungen dieser Jahre überstrahlen Ideen der Lebenszuversicht das Land gleich einer Befreiung von düsteren, den Geist lähmenden und quälenden Belastungen durch Faschismus und Krieg. Gelassen und hoheitsvoll zieht der breite Strom der Elbe dem Betrachter entgegen. Rechts dämmt ihn das befestigte Ufer, links begleiten hingelagerte Wiesenflächen seinen Lauf. Über die ganze Breite des Bildes ziehen sich die schönen Bogen der wiedererbauten Brücke als ein Zeugnis friedvoller schöpferischer Arbeit. In der sonnenüberfluteten, zum Verweilen einladenden Natur vertritt sie den Menschen, sein fruchtbares Denken und Handeln. Die Schönheit der Natur und des sinnvollen Menschenwerkes vereinigen sich in dem Bild zu erhabener Poesie.

Wie beim "Haus im Grund" und der geborstenen Frauenkirche hat sich auch in diesem Bild der Künstler treu an den gewählten Landschaftsausschnitt gehalten. Das ästhetische Verhältnis zur Natur ist jedoch neu, und mit ihm ändern sich Komposition, Zeichnung und Farbe. Die klaren Horizontalen des im Dunst eines warmen Sommertages verblassenden Höhenrückens am Horizont und der parallel dazu das Bild in der Fläche und Tiefe gliedernden Brücke bekunden Ruhe und Beständigkeit. Die gemauerte Uferwand, die das Auge vom unteren Bildrand zur Brücke führt, ist das einzige formale Element jäher Bewegung. Sonst erfüllen nur die Farben das Bild mit dynamishem Leben. In der flirrenden Athmosphäre schwimmen die Begrenzungen von Land, Wasser und Himmel. Das helle Licht des Tages zieht über die Ufer. Farbige Schatten spielen, und in ständigem Wechsel scheint das im Fluß gespiegelte Bild des Himmels mit den ziehendenWolken zu leben. Nur die von strahlendem Sonnenlicht und warmem, feuchtem Dunst umgebene Bücke und die rechte Uferwand bleiben fest und bestimmt. Die harte Mauerkante mit dem sich an ihr abrupt vollziehenden Wechsel von Licht und Schatten und die dunklen, die Brücke gleichsam haltenden Konturen, bedingen diese Festigkeit.

So eng Rudolph sich an alle Gegebenheiten der Natur hält, so frei betont oder ebnet er Teile des Ganzen. Er bringt sie in eine neue, die Kunst ausmachende Ordnung. So wirken seine Landschaften als künstlerische Einheit in zweifachem Sinne "einmal durch die Natur des nachgebildeten Gegenstandes, dessen Eigentümlichkeit auch im Bilde auf eine ähnliche Weise wie in der Natur uns affiziert, ein anderesMal, inwiefern das Kunstwerk eine Schöpfung des Menschengeistes ist, welcher durch einwahrhaftes Erscheinen seiner Gedanken den verwandten Geist über das Gemeine erhebt". (Carl Gustav Carus).

In: Wilhelm Rudolph, Farbige Gemäldewiedergaben, VEB E.A.Seemann Verlag, Leipzig 1968, Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Staatliche Kunstsammlung 1987.

Donnerstag, 15. Februar 2007

Texte (Nr. 1- 19) von Joachim Uhlitzsch,Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister von 1963 - 1984. - 1. Wilhelm Rudolph, das zerstörte Dresden, 1952,


Wilhelm Rudolph, geb.1889 in Chemnitz, gest.1982 in Dresden.
Das zerstörte Dresden.1952. Erworben 1959. Leinwand,110 X 150 cm.
(Abb. Farbige Gemäldewiedergaben Nr.2, E.A.Seemann 1968, Joachim Uhlitzsch)

Wohl in allen deutschen Ateliers wurden in den ersten Nachkriegsjahren Bilder zerstörter Wohnstätten geschaffen, in denen sich die Künstler mit der zerrissenen und zerfaserten Abscheulichkeit der Kriegsfolgen auseinandersetzten und das Phänomen des imperialistischen Krieges zu bewältigen suchten. Es entstanden Gemälde wie die "Ruinennacht" Carl Hofers, in denen Trümmer ins Dämonische übersteigert zum Abbild der Trümmerhaftigkeit menschlichen Daseins wurden oder Bilder wie "Am Rande der Ruinenstadt" von Heinrich Ehmsen, in denen die bloßgelegten Eingeweide einstiger Behausungen ein gespenstiges Eigenleben zu führen begannen und die dem Betrachter verwirrende oder auch sentimentale Reize vermitteln. Solchen Deutungen politischer Wirklichkeiten, die historische Tatbestände als gegeben hinnehmen, sie ins Unwirkliche verschieben und die zerbrochenen Mauern und Steine als Symbole seelischen Zerbrochenseins auslegen, ist Rudolphs Bild geradezu entgeggengesetzt. Mit der unbedingten Wahrheitsliebe eines Chronisten hält der Künstler das Gesehene fest, aber unter seiner Hand belebt sichdie tote Ruinenstadt. Ein erbarmungsloses Licht legt die Wunden des vernichteten alten Dresdens bloß. Gleichsam hilflos wirken die Trümmer des Vordergrundes, durch die Menschen in ersten Aufräumungsarbeiten einen Weg zu der tödlich getroffenen Frauenkirche gebahnt haben. Gerade dieser so ordentlich angelegte Weg bezeugt, daß hier etwas geschieht, daß man den Trümmern zu Leibe rückt, weil der Wille zum Leben stärker ist als die Vernichtung.
Aber noch nimmt der Weg nur einen kleinen Teil des Bildes ein. Die aufgerissene und ihres Hauptes, der Kuppel, beraubte Frauenkirche, deren rechter Teil noch einen Eindruck von der Schönheit der barocken Außenmauer gibt und deren linker mit der Öffnung nach innen einer großen Wunde gleicht, ist anklagendes Mahnmal großer, für immer zerstörter Kultur. Die enthäutete Häuserzeile, die, vom dunklen Rathausturm überragt, rechts von der Kirche verläuft und unter wechselndem Licht und Schatten bizarr und geheimnisvoll zu leben beginnt, hält den Blick des Betrachters vor dem unübersehbaren Trümmermeer auf, in das Menschen Wege zu treiben beginnen.
Mannigfache Rot- und Ockertöne der Steine und verletzten Mauern beherrschen die Farbskala des Gemäldes. Die tiefen Graus der Mauern der Frauenkirche gliedern das Bild. Im Verein mit der das Gemälde rechts beschließenden rot-grauen Brandmauer bestimmen sie die Raumaufteilung nach der Breite und in die Tiefe. Sie lenken das Auge von der Kirchenruine des Mittelgrundes in den Hintergrund, der vom Rathausturm markiert und beschlossen wird, und führen von dort wieder zurück in den Vordergrund zu der das Bild begrenzenden Brandmauer. So kommt für den Betrachter eine Dynamik in die Ruinenstadt,die von den Vertikalen als rhythmisch bestimmenden Zäsuren ausgelöst und zugleich aufgefangen wird. Der wolkenbedeckte Himmel, in dem die Farben der Stadt gedämpft aufgenommen sind, faßt das Bild zu vollendeter Einheit zusammen. Die so von den Körpern und Farben gleichermaßen erzeugte Tiefenwirkung und der Schwung nach oben und in die Breite schaffen die ergreifende Monumentalität eines Wahrzeichens der Zerstörung und ihrer Überwindung, des Todes und des ihn besiegenden Lebens.
In: Wilhelm Rudolph, Farbige Gemäldewiedergaben, VEB E.A.Seemann Verlag. Leipzig 1968
Abbildung in: Gemäldegalerie Neue Meister, Bestandskatalog, Dresden, 1987